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Kolumne: Stadtgeschichten von Frau Malonda

Die Frau und der Stählerne

Erinnert ihr euch noch an damals in der Schule, wenn jemand mit einem Gips zum Unterricht kam? Was gab es da nicht binnen weniger Minuten für herrliche Kunstwerke aus Blümchen und Tags auf Fußballer-Schienbeinen oder Reitunfall-Armbrüchen... Ich hatte nie das bunte Vergnügen. Natürlich war ich so rabaukig, laut und dreckig wie alle Kids, habe mir dabei aber nie etwas ernsthaftes zuleide getan. Bis in die Adoleszenz hinein wähnte ich mich praktisch in der romantischen Vorstellung, ich sei Iron Woman. Letzte Woche, am heiligen Karfreitag, trat jene Unbesiegbarkeits-Hybris unversehens wieder an die Oberfläche: Als sich mir nach einer Party ein grüner Doppelstab-Zaun in den Weg stellt, besteht mein Lösungsansatz darin, einfach drüber zu klettern. Die Idee entpuppt sich als ziemlich dumm, der Zaun sich als stärker und 32 sich definitiv nicht als das Alter, in dem es sich lohnt mit Akrobatik zu beginnen. Ich rutsche ab, bleibe mit dem Handgelenk hängen und muss mit ganz viel Klopapier um den Arm ins Krankenhaus; nicht so schlimm, meint das Personal Am Friedrichshain und schickt mich mit sechs ("Moment, das muss ich nochmal machen, Sieben, Acht!") Stichen nach Hause. Abends werde ich wach, weil mein linker Arm auf einmal doppelt so umfangreich ist wie sein rechtes Gegenüber und verdammt wehtut. Ich beschließe daraufhin, dass Mitternacht in der Notaufnahme vom Klinikum am Urban nicht so schlimm sein kann, wie dieser Schmerz, der sich bestimmt demnächst als Herzinfarkt entpuppen wird. Nach vier langen Stunden, die Geduld und Magen in sämtliche Richtungen strapaziert haben, liege ich benommen auf einer Liege und der gutaussehende Mann im Licht erzählt mir irgendwas von entzündeten Sehnen und einer möglichen OP. Ich schaue dabei zu, wie mein Arm mit einer Gipsschiene versehen und mit mir als Anhängsel in die Handchirurgie verlegt wird. Um sechs Uhr früh habe ich alle nötigen Telefongespräche hinter mich gebracht und kann endlich schlafen. Ich werde bereits anderthalb Stunden später wieder wach, weil ein Arzt auf meinem Arm herumdrückt. Da er weder sonderlich gut, noch sonderlich nett aussieht, versuche ich meine Schmerzlaute ein bisschen ungehaltener klingen zu lassen und bekomme prompt zwei Infusionen. Auf einer Wolke von Schmerzmitteln davon segelnd registriere ich, dass ich ab sofort eine Zimmernachbarin habe. Die alte Dame heißt Frau Kurz (Anm. d. Red.: Name geändert), spricht völlig unverständlich und schaut mich sehr seltsam an. Okay, denke ich noch... Als ich ein weiteres Mal erwache, ist mein bester Freund da. Warum ich weiß, dass das mein bester Freund ist? Weil er es fertig gebracht hat, sich in mein fluchtartig verlassenes Zimmer zu wagen um mir Damenprodukte ins Krankenhaus bringen zu können. Liebe weiblichen Leserinnen, seht zu, dass ihr eure Räumlichkeiten immer so hinterlasst, wie ihr wollt, dass eure Eltern sie schlimmstenfalls nach eurer Vermisstmeldung vorfinden! Ich muss am Ende zum Glück nicht operiert werden, verbringe aber dennoch das gesamte Osterfest im Krankenhaus. In mir erwächst alsbald die Vermutung, dass Frau Kurz denkt, ich sei ihre persönliche Krankenschwester. Sie macht nämlich ab und zu jammernde Geräusche in den Raum, die mir gelten und die dann soviel bedeuten, wie, dass sie beispielsweise auf's Klo muss oder mit dem Essen fertig ist. Nachts schläft sie so unruhig, dass ich sie wiederholt zudecke. Sie grunzt und murmelt im Schlaf vor sich hin, während ich darüber nachdenke, wie sich leben wohl anfühlt, wenn man ausschließlich auf andere angewiesen ist. Am Ostermontag weckt sie mich, indem sie mit einer Glasflasche gegen die Wand klopft. Als ich später entlassen werde, sage ich zu ihr: "Frau Kurz, ich bin ab jetzt nicht mehr da - sie müssen sich wirklich merken, wie man diesen Klingelknopf drückt, damit die Schwester kommt". Daraufhin erwidert sie: "Aber ich weiß doch, wie man das Ding benutzt" - eigentlich sind es die üblichen Laute und der seltsame Blick. Ich weiß trotzdem genau, was sie gesagt und auch, dass sie dabei gelächelt hat. Als ich die Station verlasse, beginnt der attraktivste Oberarzt des Teams seine Montagsvisite. Verdammt!

 Vorübergehend einarmige Großstadt-Banditin, Frau Malonda