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WE ALMOST LOST BOCHUM - INTERVIEW mit Benjamin Westermann & Aphroe

Interview zur Filmpremiere „We Almost Lost Bochum“ am 01.09.2020 im Babylon Kreuzberg

Filmemacher Benjamin Westermann & Aphroe im Interview

Heute ist die Premiere der Doku „We Almost Lost Bochum“ in Berlin. Welche Auswirkungen hatten die Corona-Beschränkungen auf Euch und den Film? 


Benjamin: Die Corona Beschränkungen trafen auch uns. Ursprünglich sollte der Film im Mai starten. Wir wollten den Release vor dem Sommer machen, da wir schon so lange am Film gearbeitet haben und nun auch heiß waren, diesen einem Publikum zu präsentieren. Ab März kamen die Corona Beschränkungen und dann musste nochmal umgeplant werden. Das hat uns aber nochmal mehr Zeit verschafft eine Kinotour zu planen und ein bisschen mehr vorzuarbeiten. Jetzt haben wir Anfang September und die Leute haben sowas wie „ins Kino gehen“ vermisst. Jetzt können alle wieder ins Kino gehen und sich etwas anschauen, was sie vielleicht ein wenig happy macht.


Benjamin, war der Film ein Herzensprojekt von Dir? Kanntest Du die Crew um RAG persönlich? 


Benjamin: Der Film ist ein Herzensprojekt von mir und Julian, wir sind gleichberechtigte Regisseure. Die Idee kam von Julian und entstand aus einer klassischen Schnapsidee. Julian kannte Aphroe durch seine Tätigkeit bei Melting Pot Music und hat dort an einer Aphroe Veröffentlichung mitgearbeitet. Julian hatte eine Story für Allgood.de über “Put Da Needle” geschrieben und die ist auf große Resonanz gestoßen. Julian hatte sich dann gedacht, da stecken noch so viele Stories drin, die noch nicht erzählt worden sind, lass uns einen Film machen.


Wie entstand die Idee zur Doku? 


Benjamin: Von der Idee bis zum fertigen Film waren es 4 Jahre, aber nicht 4 Jahre konstante Arbeit. Wir haben das independent und diy-mäßig gemacht, effektiv waren es 1 ½ – 2 Jahre, weil wir diesen Film neben unserem Job gemacht haben. Julian Brimmers und ich sind selbstständig und haben uns die Zeit freigeschaufelt, dass wir an dem Film arbeiten können. 

Wir sind viel gereist und haben viele Leute für Interviews angefragt. Manches ging nicht wegen Albumproduktionen, dann erreicht man die Künstler nicht. Und dann gibt es ein Konzert irgendwo, wo du den Künstler schnell mal abgreifen kannst. 

Wir waren davon auch 14 Tage am Stück in Übersee bei Pahel in Washington D.C. und begleiteten Gabriel in New York. Pahel war ein ganz formidabler Gastgeber. :)



Wie habt Ihr die Doku finanziert? 


Benjamin: Erst haben wir die Doku selbst über viele Strecken finanziert, da wir am Anfang immer so häppchenweise gefilmt haben. Das ging, weil wir mit ganz günstigem Equipment gearbeitet haben, und nur teilweise mit teurem, welches wir von befreundeten Kamerakollegen geliehen bekamen. Auf das Drängen einer Freundin haben wir uns für die Filmförderung beworben. Das war dann eine Low Budget Dokumentationsförderung, die geholfen hat, den Film dann auf einem Level zu vollenden, das amtlich ist. 



In „We Almost Lost Bochum“ wird die Hip Hop Band RAG 20 Jahre nach Veröffentlichung des Debütalbums „Unter Tage“ begleitet. Wie gut kanntet Ihr Euch vorher? 


Benjamin: Es gibt viel Material, was nicht in der Doku gelandet ist. Das ist alles potentielles Bonusmaterial für eine mögliche Blu-Ray oder DVD Veröffentlichung. Aspekte wie “Put Da Needle” oder die schwarze Identität in Deutschland zu der Zeit, da haben Gabriel und Pahel ganz kurz drüber erzählt. In dieser Doku steht im Fokus die Bandhistorie und die deutsche Subkultur Entwicklung im HipHop. Wir sind super dankbar an Alle, die sich die Zeit genommen haben mit uns zu reden und diesen Film möglich gemacht haben. 


Welcher Interviewer habt ihr Euch gezielt rausgepickt? 


Benjamin: Die meisten Interviewer kamen von Julian. Als ein fachliches Narrativ kann man Stephan Szillus sehr gut nehmen, der als Chefredakteur bei der Juice in Berlin gearbeitet hat. Wir hätten gerne noch mehr interviewt, vor allem Frauen fehlen uns. Und daher ist „We Almost Lost Bochum“ auch ein männerdominierender Film, leider. Es ist der Zeit und auch dem Genre geschuldet.


Aphroe: Mir war Julian zuvor zu seinen journalistischen Tätigkeiten für die Juice und später durch seine Tätigkeit bei MPM (Melting Pot Music), mit denen ich zu der Zeit Platten veröffentlicht habe, bekannt. Von Julian konnte man durch den erweiterten Bekanntenkreis, immer wieder mitbekommen, was sein Interview- und Schreibtalent anging und dadurch hatten wir bereits eine hohe Meinung von seinem Gespür für Musikgeschichte, was im Endeffekt auch ein Door Opener dafür war, dass wir mit dem Vorhaben, einen Film über RAG zu drehen, schon grundsätzlich ein gutes Grundgefühl entwickeln konnten.  

Ben lernten wir dann als Filmemacher hinter der Kamera in den ersten Vorgesprächen erst näher kennen. Von Anfang an war uns klar, dass wir diese Aufgabe dort in guten und fähigen Händen sahen und so wurde die, für mich zunächst bizarr anmutende Vorstellung, einen Film über uns zu drehen, auch überhaupt erst irgendwie greifbarer.


Gab es auch Momente oder Erlebnisse, die in der Doku nicht gezeigt werden?

Aphroe: Das wäre ja traurig, wenn es gelänge 20 - 30 Jahre wirklich komplett in 97 Minuten zu erzählen! Es gibt natürlich unendlich viele Momente, und nachdem man so einen fertigen Film letztendlich auch mal aus der Zuschauerperspektive sieht, fällt einem auch immer noch mehr und mehr ein, wo man hätte weiter erzählen können, oder noch weiter auszuholen wollen und wer z.B. noch hätte dabei sein sollen, was teilweise aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt hat ...und und und. ABER: Der Film ist in seinem Final Cut jetzt so wie er ist, richtig gut und rund erzählt worden, dass ich beim ersten Schauen zunächst mal ziemlich sprachlos war, was den beiden da gelungen ist.

Da gab es diesen einen super Moment, als wir über unseren RAID Background in Oberhausen gedreht haben und wir spontan vor dem alten Jugendzentrum namens "Druckluft" standen und dazu erzählten, wie es dort zu unseren ersten Auftritten kam, als plötzlich ein, wie von der imaginären Casting Crew bestellt, alter Hip Hop Fan mit Rucksack, Baggy Pants und Basketball Jersey um die Ecke bog, uns natürlich gleich erkannte und drauflos in die Kamera plauderte, als hätte er einen Komparsen Deal gesignt. Traumhaft ;) bestimmt heißer Anwärter aufs Bonusmaterial.



Die Doku baut eine sehr starke emotionale Beziehung zu den 3 Hip Hoppern auf und geht sogar in die therapeutische Erzählperspektive zum Tod von Galla. Das ist so authentisch, dass ich mich gefragt habe, ob Ihr vorher ein Skript besprochen habt oder alles freestyle war? 


Benjamin: Beim Drehen haben wir erst Sachen herausgefunden, z.B. die Geschichte von Pahel und seinem Vater. Diese Geschichte war so wichtig, um auch zu Pahel einen Zugang zu bekommen. Der Tod von Galla, wir wussten das ist ein sehr sensibles Thema. Anfangs wollten die Jungs auch nicht die Band mit dem toten Mitglied sein. Beim Drehen ist erst klar geworden, dass wir diese große Verantwortung haben, die Geschichte von Galla zu erzählen. Das haben wir mit großer Sorgfalt umgesetzt. Der Film ist ein bisschen Freestyle, immerhin mussten wir uns auf viele Aspekte neu einrichten. Die Idee des Films war ganz prägnant auf die Musik gesetzt, denn das Album „Unter Tage“ kann man auch heute noch hören. Das ist zeitlos, das ist nicht gealtert, da können sich viele Menschen drauf einigen. Dann kam der emotionale Aspekt dazu und irgendwie war es dann das erste Album, nur als Film. 

Ich bin Cutter und schneide viel, Julian ist Journalist, schreibt und erzählt viel, aber wir haben noch nie einen Film gemacht. Das war manchmal wie ein Filmstudium.


Aphroe: Tatsächlich gab es weder ein Skript, oder sowas wie ein Drehbuch oder Regieanweisungen. Gar nichts dergleichen. Einige Vorgespräche und regelmäßige Telefonate halt. Wir haben schon eine gewisse Nähe zueinander aufgebaut und dann ist das Material immer ziemlich "on the fly" entstanden. 


RAG war in einer ganz großen Ära des deutschsprachigen Hip Hop unterwegs. Textlich wurde soviel Potential verarbeitet wie meiner Meinung nach nie wieder. Aphroe, kannst Du uns sagen, warum das so war? Und wann hörte das auf?


Aphroe: Wir waren einfach hungrig auf Lyrics. Auf einen starken Austausch unter- und miteinander, inspiriert von dem Zusammengehörigkeitsgefühl einer Jugendkultur und getrieben davon, uns in poetischer Bildsprache auszudrücken. Das Poetische blieb in der Phase danach ab Mitte der 2000er für längere Zeit in der Breite eher auf der Strecke und eine aggressive "Jeder ist sich selbst der nächste" Attitüde, dominierte die Bildfläche. Poetisches bekam erst durch Künstler wie Marteria, Morlockk Dillema & Hiob, Fatoni, Sichtexoten etc. im Endeffekt eine große Lobby ... Aber Warum? Bekommt das "Volk" die Kunst, die es verdient? Keine Ahnung. Wenn eine Gesellschaft sich kollektiv vor den Spiegel stellen will, sollten die breitschultrigsten Testosteron-Alphas vielleicht nicht alle in der ersten Reihe stehen, sonst werden halt bei weitem nicht alle gesehen und gezeigt.


Es begann, wie auch in der Doku angedeutet, eine Ära mit dem Berliner Label Aggro Berlin, die sofort auf die kommerzielle Schiene setzten. Heute gibt es 3 große Musikrichtungen im Mainstream. Schlager, Techno und Rap. Welchen Einfluss hat die Crew bis heute auf Deutschrap?


Ich glaube "Rockmusik" als Übergenre für vieles, Alternatives gibt es definitiv auch noch... Aber ja. Es wird im Film relativ deutlich, dass wir verdammt viele unterschiedliche deutschsprachige Künstler mit unseren beiden Alben und den Soloaktivitäten inspirieren und berühren konnten. Das bedeutet uns viel, weil wir immer auch im Sinn hatten, das Große und Ganze nachhaltig mit unserem zu einem besseren zu Wenden.


Gibt es manchmal den Wunsch, eine Jam mit allen Veteranen zu geben?


Aphroe: Sowas passiert ja dann und wann, meist unter dem Vorwand eines Jubiläums und hoffentlich in Zukunft nicht mehr so oft zu traurigen Anlässen, wie es das Memorial Jam für Galla war. Es ist immer schön, den "alten" Spirit aufleben zu lassen, auch besonders schön, weil viele kontemporäre Artists daran teilhaben können, weil sie das Gefühl noch immer teilen.


Für wen ist der Film und wer sollte ihn sich unbedingt anschauen?


Aphroe: Der Film ist tatsächlich was für jederman/frau and his/her mother geworden. Man muss nicht zwangsläufig ein Rap Fan, Hip Hop Head  sein, oder deepe Kenntnisse unserer Musik zu besitzen, um die Geschichte, die Anhand unseres Exempels erzählt wird, fühlen zu können. Es hilft natürlich bei der Einordnung enorm, ist aber nicht Voraussetzung. 


In Berlin zu sehen im Kant Kino in Charlottenburg und Babylon Kreuzberg.



RegieJulian Brimmers, Benjamin Westermann
DarstellerRAG, STIEBER TWINS, JAN DELAY, KOOL SAVAS, STF, CURSE, CREUTZFELD & JAKOB, WOLFGANG WENDLA..
FSK6
ProduktionslandDeutschland
Jahr2019
Verleihmindjazz pictures
KategorieDokumentarfilm
Webseitehttps://mindjazz-pictures.de/w..

Kinostart03.09.2020
Länge100 min
Audioformat
Untertitel
Bildformat
Framerate
2D/3D2D